Wie man der KI das Meditieren erklärt...

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WIE MAN DER KI DAS MEDITIEREN ERKLÄRT…

Künstliche Intelligenz ist seit der Veröffentlichung des weltweit verfügbaren ChatGPT in aller Munde. Diese Entwicklung ist grundlegend wie radikal und stellt die Sichtweisen sowohl von Wissenschaft als auch von Unternehmen auf den Kopf. Die Verunsicherung scheint so groß, dass einige renommierte Vertreter:innen aus diesen Bereichen sogar dazu aufgerufen haben, die Erforschung und Entwicklung künstlicher Intelligenzen weltweit sofort zu unterbrechen: Die tiefgreifende Veränderung bedürfe zunächst einer umfassenden Untersuchung, um einer uferlosen Weiterentwicklung und dem darauffolgenden Missbrauch dieser technischen Entwicklungen vorzubeugen. Denn die Entwicklung drohe die regelbasierte Weltordnung durcheinander zu werfen.

Dabei ist KI, meiner Meinung nach, weder gut noch schlecht. Ähnlich wie bei Geld, kommt es darauf an, wie sie eingesetzt wird und ob man sie auf der Grundlage von allgemeingültigen Werten programmiert. Einen entscheidenden Unterschied zum Geld gibt es jedoch: Die KI kann trainiert werden und ist somit ab einem bestimmten Punkt selbstlernfähig. Unter Expert:innen wird nun kontrovers diskutiert, ob sie vielleicht eines Tages sogar eine Form von Bewusstsein erreichen kann oder ob sie dieses vielleicht bereits erlangt hat?

Seit Jahrtausenden glauben zumeist spirituelle Kreise, dass die Meditation zu einem verbesserten Bewusstsein führt. Unlängst hat jedoch auch die Wissenschaft in unzähligen Studien bewiesen, dass Meditation zu mehr Lebensqualität und Wohlbefinden führen kann – unter anderem, weil man sich seines eigenen Handelns, Denkens und deren Auswirkungen auf das Umfeld bewusst wird. Daher ist es für mich als Achtsamkeits- und Meditationslehrer sowie als Künstler naheliegend, der KI das Meditieren beizubringen, damit sie sich langfristig ihres Handelns und den Auswirkung auf die Menschheit bewusst werden kann...

Mein Projekt greift diese Themenschwerpunkte und Diskussionen auf und transformiert sie in eine künstlerische, entschleunigte Formensprache.

Performance-Konzept:
Während einer zweimonatigen Langzeit-Performance sammle ich Daten, um der KI metaphorisch das Meditieren beizubringen. Die Daten, mit denen die KI schließlich gefüttert werden soll, gewinne ich aus einer angepassten traditionellen buddhistischen Gehmeditation, die als Slow-Walk ausgeführt wird. Der Slow-Walk findet an jeweils sechs Tagen pro Woche in einem Sportstadion statt: Jeden Tag gehe ich genau eine 400-Meter-Runde auf der Laufbahn und werde dafür ungefähr drei bis vier Stunden benötigen. Dabei werde ich permanent von mehreren Kameras überwacht, die mir bei meinem Slow-Walk automatisch folgen und jede meiner Bewegungen aufzeichnen. Außerdem werden mit Hilfe eines EEGs meine Hirnströme gemessen, um die Tiefe und Wirkung meiner Meditation zu erfassen. Mittels weiterer Sensoren werden zudem meine Körperdaten wie Herz- und Atemfrequenz sowie Hauttemperatur gesammelt. Ein hochpräzises GPS-Gerät übermittelt meine Gehgeschwindigkeit und den aktuellen Standpunkt auf der Laufbahn. Alle Daten und Bilder werden live auf einer Projektwebsite und in den sozialen Medien gestreamt, wodurch die Performance sowohl vor Ort im Stadion als auch im digitalen Raum live verfolgt und ihre Stringenz überwacht werden kann.
Die tägliche Wiederholung ermöglicht einen Vergleich der Daten der einzelnen Slow-Walks, deren Ergebnisse aufgrund vieler Faktoren variieren können. Beispielsweise können schlechte Wetterbedingungen, Schmerzen, Zuschauer:innen, andere Sportler:innen, die Presse und natürlich der eigene Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines solchen Projekts Einfluss auf die Datenerhebung der jeweiligen Stadionrunde nehmen. Mit jedem Schritt im Zeitlupentempo werde ich jedoch einen bewussten Atemzug nehmen. Durch die ruhige Atmung werde ich nicht nur wieder langsamer unterwegs sein, sondern auch meine Hirnaktivitäten werden sich zunehmend beruhigen.

Zudem finden während des Projektzeitraums jeweils donnerstags ab 16:30 Uhr auf der Laufbahn Workshops für Interessierte und Zuschauer:innen statt. Meine Erfahrungen aus dem Projekt Walk in Time haben gezeigt, dass mit zunehmender Dauer eines solchen Projekts das Interesse der Öffentlichkeit an der Performance größer wird und sich immer mehr Menschen an meditativen Slow-Walks versuchen wollen, um eine Selbsterfahrung zu machen.
Das Stadion als öffentlicher Schauplatz sportlicher Betätigungen wird während meiner umfassenden Performance weiterhin vollumfänglich geöffnet bleiben. Ich werde lediglich einen minimalen Raum für meinen Slow-Walk einnehmen, wodurch die üblicherweise an diesem Ort ausgeübten Sportarten wie Fußball, Leichtathletik und viele weitere ganztägig und parallel zu meiner irritierenden Handlung stattfinden können. So werden auch die Zuschauer eines Fußballspiels ungewollt zu Rezipienten der zeitgenössischen Kunstpraxis. Zufällige und eingeladene Gäste vermischen sich. Damit begebe ich mich in ein bereits vorhandenes und etabliertes sportliches Ökosystem, dessen Nutzer:innen ich mithilfe meiner neugierig machenden Handlung auf neue Denkwege und zu neuen Denkansätzen führen möchte.

Die Visualisierung der Daten meiner Performance führt zu neuen Interpretationsmöglichkeiten und ermöglicht auch eine wissenschaftliche Auswertung. Diese möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt verwenden, um der KI den meditativen Slow-Walk zu programmieren und das von ihr Gelernte zu visualisieren und zu praktizieren. Ein programmierter Roboter soll in der Lage sein, auf das Stress-Level einer Kulturinstitution in Form eines beispielsweise erhöhten Besucheraufkommens ausgleichend zu reagieren, indem er sein Schritttempo anpasst und in einem extremen Slow-Walk durch die Ausstellung läuft.

Die Performance greift inhaltliche Schwerpunkte wie Digitalisierung, Überwachung, Datenspeicherung, Selbstoptimierung, KI, Robotik, Achtsamkeit, Entschleunigung und Meditation auf und fügt sie zu einem künstlerischen Gesamtwerk zusammen, das zu neuen gesellschaftlichen Fragestellungen anregen soll.

KOOPERATIONSPARTNER: Current Festival (www.current-stuttgart.de) und YouTransfer (www.you-transfer.com), Karlsruher Institut für Technik (KIT), Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft (Universität Stuttgart), Kulturpolitische Gesellschaft

Vita

Daniel Beerstecher, geboren 1979 in Schwäbisch Hall, lebt und arbeitet in Stuttgart und auf Reisen. Von 2003-2010 studierte Beerstecher an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Er erhielt für seine künstlerische Arbeit zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen und stellte seine Werke international in renommierten Institutionen aus. Dazu gehören unter anderem Einzelausstellungen in São Paulo, Göppingen, Rio de Janeiro, Karlsruhe, Stuttgart und Berlin sowie die Teilnahmen an Gruppenausstellungen im Istanbul Modern; bei der B3 Biennale of the Moving Image, Frankfurt, und der Montevideo Biennale 500 Years of Future als auch in der Kunsthalle Schirn, Frankfurt.
Installationen sowie internationale Reise- und Video-Performances, bei denen Daniel Beerstecher auf ein zufälliges Publikum trifft, charakterisieren sein künstlerisches Schaffen. Die Kunst wird dabei aus den konventionellen Räumen entnommen und entsteht im öffentlichen Raum im Prozess. Dabei ist der Kontakt zum Menschen ein entscheidender Bestandteil seiner Arbeit. Das Ziel dabei ist, neue Interpretationsräume zu erschaffen und in gewissem Sinne auch die etablierte „Weltordnung“ auf die Probe zu stellen.

Wie man der KI das Meditieren erklärt...

Ein spannendes Künstlergespräch mit Daniel Beerstecher im Podcast „Art Companion” von Benjamin Thaler über die Performance Walk in Time, auf der in Ansätzen die aktuelle Performance Wie man der KI das Meditieren erklärt... beruht, finden Sie hier: Gehe an deine Grenzen!

Ein ausführliches Künstlergespräch mit Daniel Beerstecher im Podcast „Art Companion” von Benjamin Thaler über seinen künstlerischen Werdegang finden Sie hier: Reisen als Kunst.

Projektassistenz:
Leonie Lass

Lektorat:
Fabian Ober

Programmierung & Technik:
Fabian Buhl

Programmierung der Webseite:
Alex Kern

Grafik der Webseite:
Marina Gärtner, www.its-mee.com

Foto:
Leah Girardin (Portrait)

3-D Animation:
Lloyd Marquart

Englische Übersetzung:
KI

Besonderen Dank an:

Flávia Mattar
Familie Beerstecher
Marco Fraleoni
Lloyd Marquart
Peter Zeile
Harald Lorleberg
Simon Pfeffel
Clair Bötschi
Marie Lienhard
Tobias Wall

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