Zu Beginn des Projekts war ich enttäuscht, dass während der Semesterferien nur wenige Menschen im Stadion der Universität waren. Ich hatte mir vorgestellt, dass neben mir Fußball gespielt, Leichtathletikwettkämpfe stattfinden und Läufer im 100-m-Sprint an mir vorbeirennen würden. Dies wäre zwar für meine Meditation eher ungünstig gewesen, aber ich fand die Vorstellung künstlerisch reizvoll.
Zuvor hatte ich in mehreren Stadien angefragt, aber aufgrund meiner Kameras und Datenschutzbedenken keine Erlaubnis erhalten, mein Projekt über einen Zeitraum von zwei Monaten umzusetzen. Daher war ich sehr dankbar, das Institut für Sport und Bewegungswissenschaften gefunden zu haben, das auch thematisch sehr gut zu meinem Konzept passt und mir erlaubt hat, für 8 Wochen die Laufbahn für meinen Slow Walk zu nutzen. Diese Erlaubnis verdanke ich wohl auch den Semesterferien und dem dadurch stark eingeschränkten Betrieb.
Mit dem ruhigen Betrieb im Stadion hatte ich mich jedoch schnell arrangiert, da dies den Slow Walk erheblich erleichterte. Dies zeigte sich an einem regnerischen Montagmorgen.
Ich kam im Stadion an und sah, dass es leer war. Der Regenradar hatte mir angekündigt, dass die Regenwolken in den nächsten 20-30 Minuten vorbeiziehen würden. Ich freute mich, dass ich die Laufbahn an diesem Tag größtenteils für mich haben würde.
In der ersten Stunde war ich tatsächlich alleine. Dann tauchten jedoch am Spielfeldrand die ersten Leute auf. Mehrere Fußbälle wurden auf den Platz gekickt, und immer mehr Menschen versammelten sich, darunter viele in Fußballtrikots und -schuhen.
Ich war überrascht und erschrocken. Ich wusste nichts von dieser Veranstaltung, obwohl ich fast täglich mit den Platzwarten gesprochen hatte. Niemand hatte mir von einer Aktivität auf dem Platz erzählt, und an einem Montagnachmittag hätte ich es am wenigsten erwartet.
Irgendwann waren es etwa 40-50 Personen, darunter zwei Fußballmannschaften mit vielen Auswechselspielern und einigen Zuschauern. Dazu kam eine große Lautsprecherbox, die das gesamte Fußballfeld mit Musik beschallte, die zwischen Fitnessstudio und Bierzeltatmosphäre wechselte, also ideale Voraussetzungen für meine Meditation.
Zunächst kam in mir Ärger auf, weil man mir hätte vorher Bescheid geben können, damit ich mich darauf vorbereiten konnte. Doch da ich in der Meditation versuche, meine Gedanken zu beobachten, konnte ich diesen Ärger schnell loslassen. Schließlich hatte ich mir genau so eine Situation ja ursprünglich gewünscht, und jetzt war sie da.
Dennoch ließen mich die Gedanken nicht so schnell los. Die Unsicherheit, die eine unerwartete Situation mit sich bringt, schleicht sich schnell wieder ein. So tauchte bald wieder der Ärger auf, dass man mich hätte informieren können, und ich dann zumindest jemanden dabei haben könnte, der diese visuell beeindruckende Situation gut dokumentiert hätte. Die Gedanken führten von einem zum nächsten, von einer emotionalen Reaktion zur nächsten.
Die hartnäckigsten Gedanken waren jedoch: Wenn mir niemand vorher Bescheid gesagt hat, hat dann denen überhaupt jemand von meiner Performance erzählt? Wissen die Leute, was ich hier mache? Stört es sie? Was denken sie über mich? Kann ich überhaupt weitermachen?
Meine Unruhe nahm zu, je näher ich der Zielgerade kam, da absehbar war, dass ich auf dieser zwischen Zuschauern und Fußballspielern hindurchgehen musste. Obwohl ich mich bereits seit über 6 Wochen in Gelassenheit übte, schien davon nicht mehr viel übrig zu sein. Meine Muskulatur verkrampfte sich, es war schwieriger, das Gleichgewicht zu halten, und es war praktisch unmöglich geworden, sich nur auf das Gehen und die Atmung zu konzentrieren.
Es macht einen großen Unterschied, ob man eine Performance in einem geschützten Raum oder in der Öffentlichkeit durchführt.
Im Theater oder bei einer Ausstellung sind alle darauf eingestellt, dass außergewöhnliche Aktionen stattfinden können. Die Performer treffen deshalb eher auf ein offenes Publikum. Im öffentlichen Raum gibt es diesen Schutzraum nicht mehr. In den Wochen zuvor hatte ich zwar viele Begegnungen, aber es waren immer nur wenige Menschen. Jetzt musste ich durch eine Menschenmenge gehen, von der vielleicht niemand von meinem Projekt wusste, und das alleine. Das war nicht einfach.
Schließlich konnte ich mich wieder etwas beruhigen.
Ich dachte: Was könnte schon passieren? Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre wohl, dass sie mich bitten würden, die Laufbahn zu verlassen, weil sie ein Fußballturnier veranstalten. Vielleicht kämen noch ein paar abfällige Kommentare dazu. Ich wurde allmählich ruhiger und ging in meinem eigenen Tempo durch die Menschenmenge. Es herrschte eine eigenartige Spannung. Ich konnte die meisten Gespräche um mich herum sehr genau verfolgen und hörte in diesen 20-30 Minuten kaum etwas, das auf meine Performance zurückzuführen war, als ob ich unsichtbar wäre. So wie ich versucht habe, ganz bei mir zu bleiben, haben die Zuschauer und Fußballspieler versucht, ganz in ihrem Tun zu bleiben.
Nachdem ich die Ziellinie überquert hatte und das Fußballspiel noch im Gange war, bin ich zu einigen Zuschauern gegangen, um zu erfahren, wie es ihnen ergangen ist.
Es handelte sich um zwei Institute der Universität, die einmal im Jahr ein Fußballspiel gegeneinander austrugen. Sie wussten nichts von meinem Slow Walk-Projekt, da niemand sie darüber informiert hatte. Dennoch hatten sie dezente Hinweise im Stadion auf meine Performance und meine Webseite gefunden, die sie dann recherchiert hatten. Außerdem hatten auch sie sich Sorgen gemacht, dass sie mich stören könnten, was wahrscheinlich dazu führte, dass sie keinerlei Reaktionen auf meinen Slow Walk zeigten und mich in Ruhe ließen. Ich war also doch noch nicht unsichtbar geworden…
Für diese Runde benötigte ich 2 Stunden und 48 Minuten, was im Vergleich zu den meisten anderen Tagen deutlich schneller war.